Newsletter vom 20. März 2020
Grenzkontrollen und Fake News
Leitlinien für Grenzkontrollen: Europäische Kommission pocht auf freien Warenfluss zur sicheren Versorgung
(AV) Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hatte am 13. März 2020 anlässlich der Corona-Krise Leilinien für Grenzkontrollen angekündigt, die am 16. März 2020 von der Europäischen Kommission vorgelegt wurden.
Die Leitlinien enthalten Grundsätze für einen integrierten Ansatz für eine wirksame Grenzverwaltung zum Schutz der Gesundheit bei gleichzeitiger Wahrung der Integrität des Binnenmarktes. Die Kommissarinnen Kyriakides und Johansson haben die Leitlinien den EU-Gesundheits- und Innenministern bei einer gemeinsamen Videokonferenz am 16. März 2020 vorgestellt.
Schutz der Gesundheit
Menschen mit Verdacht auf eine Coronavirus-Infektion sollten Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung erhalten, entweder im Ankunfts- oder im Abreiseland, und dies sollte zwischen beiden Ländern koordiniert werden.
Es ist möglich, jeden, der in das Staatsgebiet einreist, ohne formelle Einführung von Binnengrenzkontrollen einer Gesundheitskontrolle zu unterziehen. Der Unterschied zwischen normalen Gesundheitskontrollen und Grenzkontrollen besteht in der Möglichkeit, einzelnen Personen die Einreise zu verweigern. Kranken Personen sollte die Einreise nicht verweigert werden, sondern sie sollten Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten.
Die Mitgliedstaaten können Kontrollen an den Binnengrenzen aus Gründen der öffentlichen Ordnung einführen, wozu in äußerst kritischen Situationen auch die öffentliche Gesundheit gehören kann. Solche Grenzkontrollen sollten organisiert werden, um das Entstehen großer Versammlungen (z. B. Warteschlangen) zu verhindern, die die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des Virus bergen. Die Mitgliedstaaten sollten sich koordinieren, um Gesundheitsuntersuchungen nur auf einer Seite der Grenze durchzuführen.
Alle Grenzkontrollen sollten in angemessener Weise und unter gebührender Berücksichtigung der Gesundheit der Menschen durchgeführt werden. Die Mitgliedstaaten müssen stets ihre eigenen Bürger und Einwohner aufnehmen und sollten den Transit anderer EU-Bürger und Einwohner erleichtern, die in ihre Heimat zurückkehren. Sie können jedoch Maßnahmen ergreifen wie die Forderung nach einer zeitlich befristeten Selbstisolierung, wenn sie die gleichen Anforderungen an ihre eigenen Staatsangehörigen stellen.
Die Mitgliedstaaten sollten den Grenzübertritt von Grenzgängern erleichtern, insbesondere, aber nicht nur, wenn sie im Gesundheits- und Lebensmittelsektor und in anderen wesentlichen Dienstleistungsberufen arbeiten (z. B. Kinderbetreuung, Altenpflege, Versorgungseinrichtungen).
Sicherstellung des Waren- und Dienstleistungsverkehrs
Der freie Warenfluss ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der Verfügbarkeit von Waren. Dies gilt insbesondere für lebenswichtige Güter wie Nahrungsmittel, einschließlich Nutztiere, lebenswichtige Medizinprodukte, Schutzausrüstung und medizinisches Zubehör. Ganz allgemein sollten Kontrollmaßnahmen nicht zu einer ernsthaften Störung der Lieferketten, der wesentlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und der Volkswirtschaften sowie der EU-Wirtschaft insgesamt führen. Die Mitgliedstaaten sollten für den Güterverkehr prioritäre Fahrspuren (z. B. über »grüne Fahrspuren«) ausweisen.
Ebenso ist die sichere Bewegungsmöglichkeit von Transportarbeitern, einschließlich Lastwagen- und Zugfahrern, Piloten und Flugzeugbesatzungen, ein Schlüsselfaktor, um eine angemessene Bewegungsmöglichkeit von Gütern und wichtigem Personal zu gewährleisten.
Für Waren, die sich rechtmäßig im EU-Binnenmarkt bewegen, sollten keine zusätzlichen Zertifizierungen vorgeschrieben werden. Laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit gibt es keine Hinweise darauf, dass Lebensmittel eine Quelle oder eine Übertragungsquelle für COVID-19 sind.
Desinformation im Netz zu Corona und Covid-19
(AV) Neben der tatsächlichen Erkrankung COVID-19 und dem Coronavirus breiten sich inzwischen auch zunehmend Falschinformationen über diese Krankheit und den Virus aus. Einige Meldungen scheinen bewusst gestreut zu werden, um Angst und Unsicherheit zu verbreiten.
Soweit es sich um Nachrichten aus Russland handelt, sammelt und entkräftet die EastStratCom auf ihrer Internetseite derartige Geschichten. Dort finden sich die entsprechenden Informationen, um selbst die Desinformation zu erkennen und zu widerlegen. Die EastStratCom Task Force hat hierzu am 16. März 2020 einen entsprechenden Bericht (engl.) veröffentlicht, auch ihre Datenbank (engl.) kann durchsucht werden.
Hintergrund:
Die EastStratCom Task Force ist Teil des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Sie wurde auf Beschluss des Europäischen Rates gegründet (EUCO 11/15 aus Mai 2015, Punkt 13) und dient dem Ziel, Russlands laufenden Desinformationskampagnen entgegenzuwirken (mehr zur EastStratCom). Aufgrund des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union konzentriert sich die EastStratCom ausschließlich auf russische Desinformation.
Krisenmanagement
EU-Krisenmanagement: Europäische Union unterstützt die Rückholung von Reisenden nach Europa
(AV) Die Europäische Union hilft den Mitgliedstaaten und ihren Bürgerinnen und Bürgern, die von Reisebeschränkungen betroffen sind und in ihre Heimatländer zurückkehren müssen.
Der Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarčič sagte: »Wir werden alles tun, um die EU-Bürger und die Mitgliedstaaten zu unterstützen. Das Notfall-Koordinationszentrum des EU-Katstrophenschutzmechanismus arbeitet 24/7 und konnte bereits die Rückholung von über 800 EU-Bürgern aus China, Japan, den USA und zuletzt aus Marokko nach Europa unterstützen.«
Am 16. März 2020 aktivierte Österreich den Katastrophenschutzmechanismus, um Unterstützung bei der Rückführung von österreichischen und anderen EU-Bürgern aus Marokko zu erbitten. Am 17. März 2020 landete ein österreichisches Flugzeug in Wien, das rund 290 Reisende aus Marokko zurückgebracht hat. Der Flug wurde von der Europäischen Kommission kofinanziert.
Der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell hatte am 5. März 2020 mit dem marokkanischen Außenminister Nasser Bourita über die Situation der europäischen Reisenden gesprochen, die versuchen, nach Europa zurückzukehren. Die Europäische Union und Marokko haben sich darauf geeinigt, dass Rückflüge bis zum 19. März 2020 fortgesetzt werden können.
Der Hohe Vertreter arbeitet zudem mit Unterstützung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD), insbesondere mithilfe der EU-Delegationen, weltweit daran, die Mitgliedstaaten bei konsularischen Fragen zu unterstützen, einschließlich der Rückholung von EU-Bürgern aus Drittländern.
Zudem steht im Katastrophenschutzmechanismus ein Medizinisches Korps zur Verfügung, der schnelle medizinische Hilfe und Fachwissen im Bereich der öffentlichen Gesundheit bereitstellt. Das Korps besteht zurzeit aus einem Team aus medizinischem Personal wie Ärzten, Krankenpflegern und Experten aus den Mitgliedstaaten und kann von den Mitgliedstaaten beantragt werden.
rescEU: EU will strategischen Vorrat an Schutzausrüstung anlegen
(AV) Die EU-Kommission hat am 19. März 2020 beschlossen, im Rahmen der Notfall-Reserve rescEU einen strategischen Vorrat an medizinischen Ausrüstungen wie Beatmungsgeräten und Schutzmasken anzulegen.
Die Maßnahme tritt am 20. März 2020 in Kraft, jetzt kann jeder Mitgliedstaat, der einen rescEU-Vorrat aufnehmen will, bei der Europäischen Kommission einen Direktzuschuss beantragen. Dieser Direktzuschuss deckt 90 % der Kosten der Bevorratung, die übrigen 10 % werden vom jeweiligen Mitgliedstaat getragen.
Der EU-Kommissar für Krisenmanagement Janez Lenarčič‚ führte aus: »Die EU ergreift Maßnahmen, um die Mitgliedstaaten mit mehr Ausrüstung zu versorgen. Wir legen derzeit einen rescEU-Vorrat an, um rasch die für die Bekämpfung des Coronavirus erforderlichen Ressourcen bereitstellen zu können. Er wird in Anspruch genommen werden, um Mitgliedstaaten zu unterstützen, die mit einem Mangel an Ausrüstungen konfrontiert sind, die zur Behandlung infizierter Patienten, zum Schutz des Gesundheitspersonals und zur Verlangsamung der Ausbreitung des Virus erforderlich sind.«
Zu den medizinischen Ausrüstungen, die bevorratet werden sollen, gehören:
- medizinische Ausrüstung für die Intensivpflege wie Beatmungsgeräte,
- persönliche Schutzausrüstungen wie wiederverwendbare Schutzmasken,
- Impfstoffe und Therapeutika,
- Labormaterial.
Der Vorrat selbst wird von einem oder mehreren Mitgliedstaaten aufgenommen werden. Der Aufnahmestaat wird für die Beschaffung der Ausrüstung zuständig sein. Die Bevorratung wird zu 90 Prozent von der Kommission finanziert werden. Das EU-Budget für die Bevorratung beläuft sich zunächst auf 50 Mio. EUR, wovon 40 Mio. EUR der Genehmigung durch die Haushaltsbehörde unterliegen. Das Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen wird die Verteilung der Ausrüstung verwalten, um sicherzustellen, dass sie dort zum Einsatz kommt, wo sie am dringendsten benötigt wird.
Erasmus+
Europäische Kommission befragt (ehemalige) Studierende zu Fragen des Geldes
(KA) Die Europäische Kommission lädt aktuelle und ehemalige Studierende zur Teilnahme an einer kurzen Befragung ein. Voraussetzung ist, dass sie an einer Hochschule in einem Land studieren oder studiert haben, welches am EU-Programm zur Förderung von allgemeiner und beruflicher Bildung, Jugend und Sport in Europa »Erasmus+« teilnimmt (Deutschland zählt hierzu).
Die Europäische Kommission möchte wissen, welche Rolle finanzielle Aspekte bei den wesentlichen Entscheidungen rund ums Studium gespielt haben und welche Art(en) von finanzieller Unterstützung für den Erwerb von höherer Bildung und die internationale Studierendenmobilität aus Sicht der aktuell oder ehemals Betroffenen besonders wünschenswert wäre(n) – beispielsweise von der Europäischen Union zur Verfügung gestellte Studiendarlehen mit besonders günstigen Bedingungen.
Die Teilnahme an der Befragung dauert nur wenige Minuten. Sie ist auf der Internetseite der Europäischen Kommission zu finden.
Innovative Forschungsprojekte
Innovative Projekte mit Beteiligung von Dresdner Forschenden erhalten Millionenförderung der Europäischen Union
(KA) Über einhundert innovative Projekte aus ganz Europa werden mit insgesamt 344 Mio. Euro über den Europäischen Innovationsrat (European Innovation Council, EIC) gefördert. Das hat die Europäische Kommission am 12. März 2020 als Ergebnis einer aktuellen Förderrunde bekanntgegeben.
Der Europäische Innovationsrat soll dafür sorgen, dass sich aus Europas wissenschaftlichen Erkenntnissen innovative Unternehmen entwickeln, die rascher in größerem Maßstab tätig werden können (Scaling-up). Er befindet sich derzeit noch im Rahmen des EU-Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont 2020 in einer Pilotphase und soll ab 2021 im Rahmen des nächsten EU-Forschungs- und Innovationsprogramms »Horizont Europa« seine Tätigkeit in vollem Umfang aufnehmen.
Unter den jetzt für eine Finanzierung ausgewählten Vorschlägen befinden sich beispielsweise Projekte, die die chirurgische Präzision im Kampf gegen den Krebs verbessern oder die lokale und globale Überwachung der Luftqualität modernisieren sollen. An fast allen Projekten sind auch deutsche Forschungseinrichtungen und Unternehmen beteiligt.
In der Förderlinie »Pathfinder Open« des Europäischen Innovationsrates, welche das Ziel verfolgt, Forschungsideen mittels klassischer Zuschussförderung möglichst dicht an die kommerzielle Verwertbarkeit zu befördern, sind die internationalen Projektkonsortien jeweils übersichtlich groß (4 bis 9 Partner), und jeweils sind auch innovierende Unternehmen dabei. Hier waren aktuell auch drei Anträge mit Beteiligung Dresdner Forschungseinrichtungen erfolgreich:
- Das Projekt »PROGENY« (Proto-Opto-Electro-Mechanical Hybrid Systems for Generation-Next Bionic Devices) wird von der TU Dresden geleitet und hat ein Gesamtvolumen von 3,7 Millionen Euro.
- Partner im Projekt »SOUNDofICE« (Sustainable Smart De-Icing by Surface Engineering of Acoustic Waves), welches mit 4,2 Millionen Euro gefördert wird, ist das Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden.
- Am Projekt »RADICAL« (Fundamental Breakthrough in Detection of Atmospheric Free Radicals) mit einem Gesamtvolumen von 3,2 Millionen Euro ist das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf beteiligt.
In der zweiten EIC-Förderlinie »Accelerator« erhalten einzelne Start-Ups/Unternehmen von der Europäischen Kommission zur Weiterentwicklung und Skalierung ihrer forschungsbasierten Innovationen Zuschüsse von bis zu 2,5 Millionen Euro. Zusätzlich können sie auch noch eine Kapitalspritze von bis zu 15 Millionen Euro erhalten. In der aktuellen Auswahlrunde haben sich insgesamt 44 Unternehmen erfolgreich beworben. 21 von ihnen haben sich für die erst zum zweiten Mal überhaupt angebotene Option der Mischfinanzierung (Förderung plus Kapital) entschieden, für welche sie sich einer besonderen Prüfung (Due Diligence) unterziehen müssen. Sie erhalten ferner auch noch professionelle Beratung für ihre weitere Geschäftsentwicklung und Unterstützung bei der Suche nach weiteren Investoren. Sechs der dieses Mal erfolgreichen Unternehmen haben ihren Sitz in Deutschland, keines von ihnen jedoch in Sachsen.
(Quelle: Europäische Kommission)
Neubewertung der Wolfspopulation
Bericht über eine Anhörung im Europäischen Parlament zum Thema »Neubewertung der Wolfspopulation in der Europäischen Union«
(HJG) Auf Initiative des sächsischen Abgeordneten des Europäischen Parlaments Dr. Peter Jahr fand eine Anhörung zum Thema »Neubewertung der Wolfspopulation in der Europäischen Union« statt. Mit der Anhörung sollten vor allem EU-Abgeordnete und interessierte Bürger informiert werden.
Für parlamentarische Verhältnisse ungewöhnlich beteiligen sich an der Veranstaltung drei verschiedene Ausschüsse: der Petitionsausschuss, der Umweltausschuss und der Agrarausschuss. Alle Ausschüsse haben Experten und Fachleute eingeladen, was durchaus eine hohe Meinungsvielfalt garantiert.
Inhaltlich ist die Anhörung in drei Blöcke gegliedert. Der erste Abschnitt befasst sich mit dem Thema »Analyse der Wolfspopulation in der Europäischen Union«. In diesen Teil werden zudem zwei aktuell vorliegende Petitionen aus Spanien und aus Slowenien mit integriert. Im zweiten Teil geht es um das Thema »Rechtsrahmen und internationale Verpflichtungen«, während der dritte Abschnitt den »Auswirkungen der Wolfspopulationen auf Umwelt und ländliche Bevölkerung« gewidmet ist.
Zum ersten Teil referierten mit Prof. Dr. Luigi Boitani (Vorsitzender der IUCN-Spezialistengruppe »Large Carnivore Initiative for Europe«) und mit Dr. Genevieve Carbone (Ethnozoologin der Sorbonne in Paris) zwei der führenden Wolfsexperten in Europa bzw. in Frankreich.
Prof. Boitani erläuterte im Vergleich der europäischen Wolfspoluationen zwischen 1960 und 2017 eine Bestandszunahme von 34 Prozent in vielen Regionen Europas. Die Bestandszahlen liegen bei ca. 17.000 Wölfen in ganz Europa, davon zwischen 13.000 und 14.000 Tieren in der Europäischen Union. Ausführlich ging Prof. Boitani auf die Gründe dieses Anstiegs ein: Neben Änderungen in der Landnutzung und einem üppigen Nahrungsangebot spielen biologische Eigenschaften des Wolfes wie seine hohe Mobilität, seine opportunistische Nahrungswahl und sein robustes wie hochflexibles Anpassungsvermögen eine wesentliche Rolle.
Dr. Carbone erläuterte das dynamische Populationswachstum am Beispiel Frankreichs. Das Thema Wolf wird in Frankreich heftig und zum Teil hoch emotional mit vielen politischen Kontrapositionen diskutiert. Die Referentin hinterfragte die Legitimation des Wolfes in Gebirgsregionen mit Almwirtschaft und ging auf Instrumente zur Festlegung von tolerablen Obergrenzen ein. Sie erläuterte die Auffassung, wonach rückkehrende Wölfe begrifflich kein »natürliches Erbe« sein können.
Den beiden Expertenvorträgen schloss sich eine intensive Diskussion mit vielen pro und contra Positionen an. Als ein Kernanliegen des Europäischen Parlaments im Sinne einer sachlichen Auseinandersetzung formulierte Dr. Peter Jahr (Mitglied des Europäischen Parlament – MdEP) dabei folgende drei – auch politisch bedeutsame – Fragen:
- Gibt es in der Europäischen Union tatsächlich nur eine Wolfspopulation oder – gemäß Europäischer Kommission – mehrere getrennte Populationen?
- Wie groß muss eine Population sein, um sich selbst zu erhalten (Frage des günstigen Erhaltungszustandes)?
- Können Sie Regionen benennen, wo der Wolf nicht hingehört?
Von zentraler Bedeutung in der Diskussion war zudem die Frage und Forderung nach einer aktuellen Überprüfung der Bestandssituation gemäß Vorgabe der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) für eine besonders geschützte Tierart. Hierzu stellte die Europäische Kommission einen aktuellen Bericht zur Bestandssituation in Aussicht, dessen erste Ergebnisse im Mai 2020 vorgestellt und im Herbst als Gesamtbericht veröffentlicht werden sollen.
Im zweiten Anhörungsblock mit Rechtsfragen und internationalen Verpflichtungen im Wolfsmanagement referierten Prof. Dr. Arie Trouwborst (Tilburg University, Niederlande) und Prof. Dr. Ilpo Kojola (Natural Resources Institute Finnland). Prof. Trouwborst ging auf das flexible Schutzregime des Anhangs V der FFH-Richtlinie ein und erläuterte die Bejagungsmöglichkeiten des Wolfes auch im Vergleich zu Anhang IV der Richtlinie. Er betonte die Bedeutung eines »günstigen Erhaltungszustandes« und verwies auf die entsprechenden Empfehlungen der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2008 (»Guidelines on population level management«).
Prof. Kojola berichtete über Erfahrungen aus Finnland. Wesentliche Probleme sind hier Schäden an Rentieren (zwischen 300 und 600 Tieren jährlich), der Tod von Jagdhunden als größtes Konfliktpotenzial zur Jägerschaft sowie der illegale Abschuss. Zwischen 2010 und 2019 wurden in Finnland insgesamt 229 Wölfe geschossen. In den besonders geschützten Anhang IV-Gebieten nach FFH-Richtlinie lag die Mortalität bei 13 Tieren für die letzten beiden Jahre 2018 und 2019. Es zeigt sich, dass der Abschuss von reproduzierenden Altwölfen populationsökologisch äußerst problematisch ist. In diesem Zusammenhang funktionieren Empfehlungen an die Jägerschaft zugunsten eines Abschusses von Jungwölfen definitiv nicht.
Weitere Beiträge in der regen und überwiegend kritischen Diskussion hinterfragten, ob der EU-Rechtsrahmen ausreicht, um eine legale Bestandsregulierung zu ermöglichen. Selbst von bekanntermaßen umweltfreundlichen EU-Abgeordneten wird klar die Frage der Koexistenz Wolf – Mensch in vielen Regionen als unbefriedigend und ungeklärt bewertet, insbesondere in Alpinregionen.
Der dritte und abschließende Anhörungsblock umfasste Präsentationen von Dr. John Linnell vom »Norwegian Institute for Nature Research« und von Michele Boudoin vom europäischen Landwirtschaftsverband COPA-COGECA. Linnell ist einer der führenden Wolfsexperten in Europa und Berater der Europäischen Kommission in Fragen des europäischen Populationsmanagements, während Boudoin als Präsidentin die europäische Schafzucht innerhalb des europäischen Landwirtschaftsverbandes repräsentiert. Dr. Linnell betonte in seiner Präsentation, dass die Erfolgsgeschichte des Wolfes in Europa zugleich auch eine Geschichte ständig wachsender Konflikte ist. Die Verluste an Nutztieren in der Europäischen Union belaufen sich auf ca. 20.000 Tiere pro Jahr, was beispielsweise etwa 0,05 Prozent der EU-Schafbestände entspricht.
Michele Boudoin stellte die Sinnhaftigkeit hoher Präventionskosten zu Lasten der Landwirte wie beispielsweise die Anschaffung von Herdenschutzhunden grundsätzlich in Frage. In Frankreich entstehen die größten Schäden durch den Wolf dort, wo das Präventionsmanagement am stärksten ausgebildet ist. Sie forderte eine einheitliche Regulierung von Ausgleichszahlungen innerhalb der Europäischen Union.
Im Ergebnis der Anhörung zogen sowohl Anja Hazekamp (MdEP) als stellvertretende Vorsitzende des Umweltausschusses wie auch Dolors Montserrat (MdEP) als Vorsitzende des Petitionsausschusses und Norbert Lins (MdEP) als Vorsitzender des Agrarausschusses im Europäischen Parlament eine erfreuliche und positive Resonanz zu der Anhörung. Die Veranstaltung hat wesentlich zur Information und Entscheidungsfindung der Abgeordneten für zukünftige Themen und Fragen rund um den Wolf und sein Management in der Europäischen Union beigetragen.